12
Nov
2007

Breit angelegte Ausbildung

Früher dachte ich, die "dreckigen" Recherchemethoden wären eine Seltenheit im journalistischen Alltag, ja, sogar eine Übertreibung des Fernsehens. Doch nun studiere ich Journalismus und was wir lernen, kann sich sehen lassen:
Ganz oben stehen effiziente Bestechungstechniken. Gerade im Hinblick auf die sinkenden Budgets ist es von Vorteil, möglichst niedrige Schmiergelder schnell auszuhandeln. Geübt wird auf dem Flohmarkt (nach Erfahrung sind besonders die Darmstädter Flohmarkthändler extrem stur).
Ebenso wertvoll für den späteren Berufsalltag: der Kurs "unorthodoxe Informationsrecherche". Er hat die Erpressung und diverse Verhörtechniken zum Inhalt. Der Umgang mit Elektroschocks, Lügendetektoren, Schlafentzug oder Erniedrigung werden in speziell bereitgestellten Räumen immer und immer wieder eingeübt bis jeder quälende, wahrheitsbringende Griff sitzt. Auch hier wird Wert auf die Praxis gelegt: Jeder Student wird dazu angehalten, wichtige Informationen aus Dozenten herauszupressen, sie mental angreifbar zu machen und in Horden "weich" zu fragen. Bis sie endlich verraten was wie wo bis wann gelernt werden muss.
Sollte der Informant trotzdem nicht gewillt sein, dem Journalisten die dringend benötigte Information auszuhändigen, so lohnt sich vielleicht ein kleiner Ausflug in dessen Wohnung. Auch hierauf ist der moderne Journalismusstudent vorbereitet: Der Unterricht gliedert sich in Materialkunde und Geschicklichkeitsveranstaltungen und wird durch Schulungen zu den neuesten Alarmsystemen ergänzt.
Der Informant wusste leider doch nichts, so wie er es kurz vor dem Zusammenbruch beteuert hat? Macht nichts. Dann kommt jetzt Schritt drei. Auch dieser wird sorgfältig geübt und analysiert, um die Studenten beim Berufsstart nicht ins kalte Wasser zu werfen. Die Rede ist vom Einschleusen. Nichts geht über diese alte, beliebte Variante, um Misstände aufzudecken. Wer ein großer Journalist sein will, sollte es zumindest einmal ausprobiert haben. Eine neue Frisur, viel Selbstvertrauen und Menschenkenntnis und fertig ist er: Der neue Mitarbeiter. Für diese Meisterleistung, dem wahren Abschlusstest, werden jahrelang Schauspielunterricht und Make-up-Kurse belegt. Um auch hier den Praxisanteil zu erhöhen, bemühen sich die Dozenten Aufgaben zu stellen, die die betrügerischen Fähigkeiten, schnellen Anpassungsreaktionen und das sympathische Nichtsdahersagen von Studenten verbessern.

Letzten Endes ist jedoch alles eine Frage der Persönlichkeit, für welche Methode man sich entscheidet. Kaum jedem wird es gefallen, den zu Verhörenden körperlich näher zu kommen, während andere die Bedienung elektrischer Geräte und Eisenwaren (Daumenschrauben) scheuen.
Die fundierte Rechercheausbildung wird jedem später einmal von Nutzen sein. Ich unterstütze diese sinnvolle Verwendung unserer Studiengelder.
Heike (Gast) - 15. Nov, 10:07

Diesen Beitrag fand ich hoch interessant. Was da alles in diesem Studium vermittelt wird, hat mich sehr erstaunt. Der Artikel ist sehr gut geschrieben worden, sehr informativ. Aber am besten hat mir der letzte Satz gefallen. Klasse!

Aufschlussreich

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Lysann

Das Entschlüsseln in all seinen Formen ist eine Leidenschaft von mir. Hier schließe ich den Alltag auf mit meinen Schlüsseln zur Welt - wie Etymologie, Symbolik, Kunst oder einfach Wortspielerei.

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